23. November. Paderborn.

Seit vielen Jahren gehört die Paderborner Feuerwehr zu den Pionieren bei Rettung und Transport adipöser (übergewichtiger) oder andersartig gehandicapten Patienten. Seit zehn Jahren ist ein besonderer Rettungswagen, der auf diese speziellen Anforderungen hin konstruiert wurde, dabei ein wichtiges Hilfsmittel der Feuerwehr.

 
Paderborn: 1-MRTW lautet feuerwehrintern die Bezeichnung dieses XXL-Rettungswagens, der aber auch schon häufiger als 1-RTW-5, als fünfter Rettungswagen der Feuer- und Rettungswache Süd an der Breslauer Straße eingesetzt wurde, wenn alle übrigen Rettungswagen im Einsatz sind.  Der 8,8 Tonnen schwere MAN mit einem Kofferaufbau der Firma GSF Sonderaufbau aus dem emsländischen Twist ist immer dann in seinem Element, wenn es um besonders schwergewichtige Patienten oder Menschen mit besonderen Beeinträchtigungen geht.
 
Der Kofferaufbau ist besonders geräumig und bietet drei Personen Platz. Kernstück ist eine besondere Schwerlasttrage mit einer maximalen Belastbarkeit von 350 Kilogramm. Sie wird mit wenigen Handgriffen sicher in einem Schienensystem verankert, wie es auch in Luftfahrzeugen eingesetzt wird. Über eine Hubbühne mit einer Hebekraft von 1,5 Tonnen wird die Trage vom Straßenniveau auf die Höhe des Koffers gehoben. Selbstverständlich können auch bettlägerige Patienten ohne Umlagern sicher transportiert werden, berichtet Michael Beivers, Abteilungsleiter Rettungsdienst bei der Feuerwehr Paderborn.
 
Und genau diese Trabsportart gab den Anlass zum Bau des speziellen Rettungswagens. Früher gab es nämlich häufiger Bettentransporte zwischen Kinderklinik und Vincenz-Krankenhaus, wenn es um die operative Korrektur von Hüftfehlstellungen ging. Die Patienten mussten seinerzeit in Spezialbetten transportiert werden, so Ralf Schmitz, Leiter der Paderborner Feuerwehr. Dazu setzte die Feuerwehr einen Lastwagen ein. „Das was abenteuerlich, denn die Wagen waren unbeheizt und verfügten über keine medizinischen Geräte“, erinnert sich Schmitz. Nicht selten kamen sich die Patienten auf diesen Transporten wie Frachtgut vor. 
 
Zu diesen Transporten kamen weitere Anforderungen aus der Medizintechnik wie die Beförderung adipöser Patienten oder Menschen mit Elektrorollstühlen. Auch Patienten mit externer Herz-Lungen-Unterstützung (ECMO) mussten transportiert werden. Und so begann 2008 Georg Brüggenthies im Rahmen eines Projekts mit der Sondierung des Marktes für Rettungsfahrzeuge. Fündig wurde er bei der Berufsfeuerwehr Herne. Auf der Basis des Herner Fahrzeugs begannen Brüggenthies, Johannes Mollemeier und Schmitz mit der Erarbeitung eines Anforderungsprofils für ein Ausschreibungsverfahren. 
 
Dabei galt es auch, den Widerstand der Krankenkassen zu überwinden, da seinerzeit ein solches Fahrzeug noch nicht im Rettungsdienstbedarfsplan verankert war. Schließlich war er rund 50.000 Euro teurer als ein normaler Rettungswagen, die damals 250.000 Euro pro Stück kosten. Doch er gelang der Feuerwehr, die Kassen zu überzeugen, dass der MRTW, das M steht für multifunktional, eigentlich ein nur normaler Rettungswagen mit speziellen Zusatzqualifikationen ist. Und in der Tat gibt es kaum etwas, was der MRTW noch nicht gemacht at. Ob Verkehrs- oder Betriebsunfall, Sportverletzung, Massenfall von Verletzten ober Bombenentschärfungen. Waren es zu Beginn weniger als 200 Einsätze im Jahr, hat sich die Einsatzzahl heute verdoppelt. 
 
Kernstück der täglichen Arbeit bleiben Transporte adipöser Personen. Diese Verlegungsfahrten, oft über erhebliche Entfernungen von Klinik zu Klinik, stellen das das Rückgrat der Fahrten dar. Inzwischen hat die Feuerwehr in Verbindung mit der Spezialeinheit Höhenrettung auch ein System entwickelt, um diese Personen auch patientengerecht aus der Wohnung auf die Spezialtragen abseilen zu können. Selbst eine Drehleiter ist bei Gewichten von 270 Kilogramm schon mal am Ende. „Damit sind wir in der Lage, auch in solchen Situationen eine Rettung aus einer Hand anzubieten“, so Ralf Schmitz. Und hin und wieder führen solche Fahrten auch in die Tierärztliche Hochschule nach Hannover, denn auch die Aufnahmekapazität moderner Computer-Tomografen ist begrenzt, aber die Veterinäre sind für ganz andere Größenordnungen ausgerüstet.
 
Mit dem MRTW gehört die Feuerwehr Paderborn zu den Pionieren bei Transporten mit speziellen medizinischen Bedürfnissen. Nicht umsonst ist der MRTW auch das Reservefahrzeug für den Verlegung intensivpflichtiger Patienten. Allerdings ist in diesem Fall die Zuladungskapazität auf 250 Kilogramm beschränkt, weil die Intensivmedizinische Technik gewichtsmäßig zu Buch schlägt.
 
Über viele Jahre war der MRTW das einzige Fahrzeug seiner Klasse in Ostwestfalen-Lippe und wurde entsprechend auch von den Nachbarn nachgefragt. Inzwischen hat die Feuerwehr Bielefeld ein ähnliches Fahrzeug im Fuhrpark. Weiterhin gut nachgefragt wird der MRTW von den Nachbarn in Höxter, wo ein solches Fahrzeug nicht vorgehalten wird. Weitere Schwerlast-RTW gibt es bei den Berufsfeuerwehren in Kassel und Dortmund.
 
Der höhere Anschaffungspreis hat sich auch durch längere Nutzungsdauer bezahlt gemacht, doch nach spätestens zwölf Jahren wird der MRTW, den es übrigens auch als Herpa-Modell im Maßstab 1:87 gibt, durch einen Nachfolger ersetzt. Im kommenden Jahr beginnt die Feuerwehr mit der Bearbeitung des Leistungsverzeichnisses, um erweitere Einsatzspektren
abbilden zu können. 2022 soll dann ein neuen MRTW in Dienst gestellt werden. 
 
 
Infokasten: Mit den speziellen Anforderungen für die Rettung adipöser Patienten hat sich der 43 Jahre alte Paderborner Wirtschaftsinformatiker und Notfallsanitäter Jens Wolff beschäftigt.  Im Kohlhammer-Verlag in Stuttgart hat er das Fachbuch „Adipöse Personen im Feuerwehreinsatz“ veröffentlicht. Am Institut der Feuerwehr (IdF) in Münster und am Studieninstitut Westfalen-Lippe in Bielefeld hat Wolff bereits wiederholt Seminare und Unterrichte zu diesem Thema angeboten.  Seit einigen Jahren gehört der Umgang mit Schwergewichtigen auch zur normalen Ausbildung für Notfallsanitäter. (-my)