6. Dezember. Paderborn.

Am Nikolaustag übernimmt Ralf Schmitz, Leiter der Feuerwehr Paderborn, seinen letzten Alarmdienst, vier Tage später läuft sein letzter Arbeitstag auf der Wache Süd. Auch wenn sein offizielles Dienstende erst Ende April 2022 ansteht, ist es an der Zeit, mit dem Feuerwehrmann der mehr als die Hälfte seiner 41-jährigen Zeit im blauen Rock in Paderborn verbracht hat, Rückschau zu halten und in die Zukunft zu schauen. Die Fragen stellte Ralph Meyer.

 
Paderborn.Sie haben die Feuerwehr 1999 übernommen. Wie hat sich die Wehr in der Zwischenzeit entwickelt?
SCHMITZ: Sie ist größer geworden. Allein im Hauptamt hat sich das Personal mehr als verdreifacht. Das ist vor allem der rasanten Entwicklung im Rettungsdienst geschuldet.
2004 wurde die Feuerwehr aus dem Ordnungsamt ausgegliedert und bildet seit dieser Zeit ein eigenes Amt in der Verwaltung. Diskutiert wurde über die Jahre auch die Einrichtung einer Berufsfeuerwehr. Was ist aus diesem Plan geworden? 
 
SCHMITZ: Die Eigenständigkeit des Amtes stand für uns seinerzeit im Vordergrund. Wegen der Vielzahl der unterschiedlichen Aufgabenstellungen war die Abstimmung mit dem Ordnungsamt am Abdinghof oft mühsam. Auch die Größe der Feuerwehr spielte eine Rolle. Als die Stadt Gütersloh die Einrichtung einer Berufsfeuerwehr beschlossen hatte, haben auch wir das Thema eingehend diskutiert. Es liegt ein Grundsatzbeschluss vor, nachdem alle Einheiten der Feuerwehr grundsätzlich keine Einwendungen gegen einen solchen Schritt haben. Darauf haben wir es dann beruhen lassen, weil seit 1975 der hauptamtliche Leiter der Feuerwehr auch Leiter der ehrenamtlichen Kräfte ist. Es gibt ein sehr gutes Miteinander von Haupt- und Ehrenamt in Paderborn, so dass wir letztlich keine Notwendigkeit für einen solchen Schritt gesehen haben. 
 
Haben sich Einsatzschwerpunkte und Vorgehensweisen in den vergangenen zwei Jahrzehnten verändert? Wenn ja, wie?
SCHMITZ: Die technischen Anforderungen sind stetig gewachsen. Mit den neuen Technologien gilt es Schritt zu halten, was auch Auswirkungen auf die Ausbildung hat. Auch die Einsatztaktik muss ständig angepasst werden. Die Technik, die wir vor 20 Jahren genutzt haben, ist heute nicht mehr ausreichend. Eine wachsende Großstadt wie Paderborn erfordert auch eine Feuerwehr, die technisch und taktisch mit dieser Entwicklung Schritt halten kann. 
 
Die Feuerwehr Paderborn gehörte 2013 zu den Pionieren der Kinderfeuerwehr. Welchen Stellenwert haben Kinder- und Jugendfeuerwehr heute in der Feuerwehr Paderborn?
SCHMITZ: Einen ungebrochen hohen. Den allergrößten Teil unserer Eisatzkräfte gewinnen wir aus der Jugendfeuerwehr. Die Kinderfeuerwehr, die in anderen Bundesländern schon seit langer Zeit gelebte Praxis ist, war für uns eine Herzensangelegenheit. Bereits viele Jahre vor dem offiziellen Startschuss in Nordrhein-Westfalen haben wir die Kinderfeuerwehr mit Unterstützung von Spendern und der Politik auf den Weg gebracht. Wer in Kinder und Jugend investiert, investiert in die Zukunft.
 
Die Feuerwehr Paderborn bildet ihren Feuerwehrnachwuchs selbst aus und ist auch Träger einer staatlich anerkannten Rettungsdienstschule. Werden diese Einrichtungen auch extern nachgefragt?
SCHMITZ: Wie verrückt, sagen meine Kollegen. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen in den Ruhestand, und die Einsatzzahlen steigen an. Das führt zu einer verstärkten Personalbedarf, und nicht jede Feuerwehr ist in der Lage, ihr Personal selbst auszubilden. Wir bilden auch für andere Kommunen aus und bieten auch Beamten, die ihre Ausbildung für den gehobenen und höheren Dienst (Laufbahngruppen 2.1 und 2.2.) durchlaufen, Ausbildungsabschnitte hier in Paderborn an. Wir haben stets großen Wert auf eine umfassende Ausbildung und die Qualifizierung unseres Personals gelegt, was uns auch extern großen Zuspruch beschert hat. Wir bilden heute auch für das Institut der Feuerwehr in Münster als Kooperationspartner aus. Die Zahlen beweisen, dass Ausbildung „made in Paderborn“ geschätzt wird. Die Feuerwehr steht in Konkurrenz zu anderen Arbeitgebern, und nur der, der seine Mitarbeiter gut ausbildet, weiter qualifiziert und sich um sie kümmert, wird auch in Zukunft gutes Personal akquirieren können.
 
Vor welchen Veränderungen werden die Feuerwehren in den kommenden Jahren oder Jahrzehnten stehen?
SCHMITZ. Wir registrieren zwar zurzeit ein zunehmendes Interesse am Ehrenamt, doch längerfristig verändert sich das Freizeitverhalten der Menschen insgesamt. Gerade in den Ortsteilen verschlechtert sich die Infrastruktur, und wer etwas erleben will, verlässt die dörfliche Sphäre. Auch werden künftig immer weniger Menschen bereit sein, ihre Freizeit langfristig einer solchen Aufgabe zu widmen. Man kann seine Freizeit eben wesentlich entspannter verbringen als im Ehrenamt bei der Feuerwehr. Auch die abnehmende sportliche Fitness in einer schwerer werdenden Gesellschaft macht es der Feuerwehr immer schwieriger, geeignetes Personal zu finden. Früher war es eine Berufung, sich in diesem Bereich zu engagieren, heute ist das leider anders geworden, und für viele ist es nur ein Job, den sie gut machen, aber nicht mehr. 
 
Ausgedehnte Vegetationsbrände in den Sommermonaten, mehr und heftigere Stürme und zunehmende Starkregenereignisse. Sind die Feuerwehren für die Folgen des Klimawandels gerüstet?
SCHMITZ: Eine Katastrophe wie jüngst im Ahrtal hat niemand kommen sehen. Eine hundertprozentige Vorbereitung auf eine solche Lage wird nie möglich sein. Es gilt jetzt, die richtigen Schlüsse zu ziehen und zu lernen, was wir besser machen können. Wir werden Katastrophen dieses Ausmaßes nicht verhindern können, aber wir werden die richtigen Lehren ziehen.
 
Bleibt das Ehrenamt in der Feuerwehr auch in der Zukunft unverzichtbar für eine Stadt in der Größenordnung Paderborns?
SCHMITZ: Eindeutig ja, denn man sieht, dass auch die größte Feuerwehr nicht ohne fremde Hilfe auskommen kann. Beim Brand des Schlachthofs waren 400 Kräfte aus Stadt und Kreis im Einsatz, und bei der Bombenentschärfung 2018 waren sogar 1.300 Kräfte nötig. Ohne Ehrenamt geht das nicht. Wir brauchen eine gute Vernetzung und eine gegenseitige Unterstützung
 
Seit Jahren kämpft die Feuerwehr Paderborn gegen Raumnot, vor allem auf der Wache Süd. Wie sehen die kurzfristigen Lösungen aus?
SCHMITZ: Dort wird in diesen Tagen eine Interimslösung mit einem dreistöckigen Containerbauwerk errichtet, das vorübergehend die größte Raumnot lindert. Ich finde es richtig, an diesem Standort keine weitreichenden Lösungen anzustreben, denn es ist absehbar, dass auch dies auf Dauer nicht ausreichen wird.  Wir brauchen eine Lösung, die auch in Jahrzehnten noch Bestand hat, und das ist an diesem Standort so nicht möglich.
 
Und wo sind die Überlegungen zum Bau einer neuen Wache Süd an der Borchener Straße angekommen?
SCHMITZ: Die Lage des Grundstücks an einer Hauptverkehrsstraße ist optimal, aber man muss auch die Zuwegungen, die Ver- und Entsorgung, Altlasten oder das Zusammenwirkungen von Hochspannungsleitungen und moderner Technik betrachten und bewerten. Von diesem Grundstück aus ließen sich die Einsatzzeiten vermutlich um rund eine Minute verkürzen. Das Grundstück wäre auch ausreichend groß, um dort auch weitere Einrichtungen unterzubringen. Wir befinden uns jetzt also noch mitten in einem Abwägungsprozess.
 
Vor einigen Jahren wurde auch ein möglicher neuer Standort für die Wache Nord ins Gespräch gebracht. Auch damals war Raumnot der Anlass. Werden diese Überlegungen aktuell noch weitergeführt?
SCHMITZ: Am Standort in der Stadtheide ist keine bauliche Erweiterung mehr möglich, und wir liegen dort in einem reinen Wohngebiet. Auch dort laufen Überlegungen, langfristig einen neuen Standort zu finden. Der Standort Schloss Neuhaus wurde von Anfang an für eine mögliche Erweiterung geplant, so dass auch hauptamtliche Kräfte dort Quartier beziehen könnten. Alle Überlegungen hängen auch davon ab, wieviel Feuerwehr letzten Endes in der Südstadt Platz finden wird. 
 

Wo könnte die Feuerwehr Paderborn in zehn Jahren stehen?

SCHMITZ: Eine schwierige Frage, denn vieles hängt auch an der Entwicklung der Stadt und der Wirtschaft. Außerdem wird eine älter werden Gesellschaft neue Ideen brauchen. Sicher wird es in zehn Jahren noch eine Feuerwehr Paderborn geben, aber die spannende Frage wird sein, in welcher Größenordnung das Ehrenamt dann noch zur Verfügung stehen wird. Auch wird zu klären sein, welche Aufgaben in der städtische Gefahrenabwehr dann zu bearbeiten sein werden. 
 
Und was hat Ralf Schmitz vor, wenn der Alltag nicht mehr von der gelben Weste des Leiters der Feuerwehr und dem Meldeempfänger geprägt ist?
SCHMITZ: Ich habe meine Familie und noch drei Geschwister am Niederrhein. Denen habe ich schon gesagt, dass ich dann tatsächlich öfters kommen werde und auch länger bleibe. Zum anderen sind da die Enkelkinder. Scherzhaft habe ich schon gesagt, ich würde jetzt Chef einer Hausfeuerwehr. Und ich will mehr Sport treiben und Fahrrad fahren. Es war bei der Feuerwehr immer eine schöne Zeit, aber jetzt kommt etwas Anderes – zum Beispiel Dinge, die man schon immer tun wollte und die stets zu kurz kamen, jetzt intensiv zu erleben.
 
Infokasten: Geordneter Übergang an der Spitze der Feuerwehr Paderborn
 
Bis zum Ende seiner Dienstzeit wollte Ralf Schmitz zwei Dinge in trockene Tücher bringen: die Einbringung der Fortschreibung des Brandschutzbedarfsplans im Jahr 2021 und eine geordnete Übergabe der Wehrführung an seinen designierten Nachfolgers Ludger Schmidt. Deshalb hat Schmitz seine Dienstzeit bis zum 30. April 2022 verlängert. Seine Bestellung als Leiter der Feuerwehr Paderborn läuft sogar noch bis Mai 2023. Deshalb rechnet Schmitz damit, dass nach den Sommerferien 2022 eine Anhörung der Wehr durch den Kreisbrandmeister stattfinden wird. Dann könnte der Rat im September oder Oktober Ludger Schmidt als neuen Wehrführer und damit als Chef von Haupt- und Ehrenamt wählen, wie es seit 1975 gelebtes Prinzip in Paderborn ist. (-my)