31. Dezember. Paderborn.

Mit ganzem Herzen für die Feuerwehr. Ralf Schmitz geht als Leiter der Berufsfeuerwehr Paderborn in den Ruhestand.

 
Paderborn. Vor sechs Jahren sorgt eine Massenkarambolage mit 24 Autos auf der A 33 kurz nach dem Jahreswechsel für einen Großeinsatz der Feuerwehr. Für Feuerwehrchef  wird der bevorstehende Jahreswechsel mutmaßlich etwas ruhiger verlaufen. Nach 23 Jahren. Mit Redakteur Ingo Schmitz spricht er über Veränderungen und herausragende Erlebnisse.
 
Fotos, Urkunden, Modellautos, Helme: Ihr Büro ist ein Abbild Ihrer Leidenschaft zu Ihrem Beruf. Was ist Ihnen als Chef von 200 Einsatzkräften wichtig gewesen?
Ralf Schmitz: Mein Slogan lautet: Der Laden hat immer auf. Und wer ein Problem hat, kommt hier herein. Man braucht keinen Termin, wer aber einen Termin möchte, bekommt den innerhalb von 24 Stunden. Alle die hier waren, hatten einen guten Grund. Ich kann nicht immer alle glücklich machen, aber man kann ganz oft Lösungen finden. Aufgrund unserer 24-Stunden-Dienste lernt man sich intensiver kennen. Man sieht sofort, wenn etwas im Argen liegt.
 
Wie hat sich die Arbeit auf Ihr Privatleben ausgewirkt?
Schmitz: Ich bin in zweiter Ehe glücklich verheiratet. Meine Frau habe ich hier in Paderborn kennengelernt. Sie arbeitete damals als Rettungsassistentin bei der Feuerwehr und war Krankenschwester in einer pflegerischen Leitung. Mit meiner Arbeit muss man sich arrangieren. Da meine Frau aber Extremsituationen kennt, war das kein Problem. Für mich galt immer: Entweder mache ich das ganz oder gar nicht. Ich kann Halbherzigkeit nicht ausstehen.
 
Sie sind vor 23 Jahren nach Paderborn gekommen. Was war Ihr erster Eindruck?
Schmitz: Mein erster Eindruck war: Alles sehr überschaubar. Mit mir waren wir 99 Hauptberufliche und 400 Freiwillige plus Ehrenabteilung und Musikzug. Hier standen zum Teil Fahrzeuge, die hatten fast mein damaliges Lebensalter. Und ich war 37. Konzeptionell war noch nicht so viel auf dem Weg. Das galt auch für den Rettungsdienst. Ich war zuvor in meiner Heimatstadt Sachgebietsleiter Rettungsdienst. Diesen Geist wollte ich auch in Paderborn einbringen, ohne zugleich die Leute zu überfordern, die bislang verantwortlich waren. Ich hatte 1000 Ideen und es entstand bei manchen der Eindruck, dass ich sie überrenne. Ich musste ein Gespür dafür entwickeln die Leute mitzunehmen.
 
Ist Ihnen der Umbau der Feuerwehr gelungen?
Schmitz: Mein Traum war es, dass die Menschen, die hier leben, im Notfall die beste Hilfe bekommen, die es gibt: durch best ausgebildete und motivierte Mitarbeiter und beste Technik. Fertig geworden bin ich nicht mit dem Traum, aber ich verfolge ihn weiter.
 
Wie hat in all den Jahren das Zusammenspiel mit der Politik funktioniert?
Schmitz: Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass man auf Konfrontation mit der Feuerwehr aus ist. Wir haben auch mal Fahrzeugbeschaffungen geschoben, um einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung zu leisten. Den Umgang, den wir haben, wünsche ich mir auch für meinen Nachfolger und für andere Feuerwehren.
 
Was waren die wichtigsten Entscheidungen, die Sie mitgeprägt haben?
Schmitz: Die wichtigste Entscheidung war, die Feuerwehr in ein selbstständiges Amt zu überführen. Als ich hierher kam, war das bereits in Aussicht gestellt. Trotzdem war der Schritt eine große Herausforderung. Ein weiterer wichtiger Schritt war die Gründung der staatlich anerkannten Rettungsdienstschule mit einem Ruf, der über Paderborn hinaus geht.
 
Seit Jahren klagen Sie über die Raumknappheit in der Wache Süd…
Schmitz: Aktuell werden jetzt die Fundamente für eine dreistöckige Containeranlage gemacht, die man auch weiter verwenden kann. Mit Blick auf einen Neubau an einem anderen Standort gilt, dass gewisse Hilfsfristen eingehalten werden müssen für den Rettungsdienst und den Brandschutz. Ein Standort an der Borchener Straße wäre ideal mit Blick auf die Erreichbarkeit von A 33, Riemekeviertel, Zentrum, Ortsteile wie Wewer und das Industriegebiet Mönkeloh.
 
Wie hoch ist der Handlungsdruck?
Schmitz: Wir planen schon seit 2013. Die jetzt geplante Interimslösung hilft uns sicher über die kommenden fünf Jahre hinweg.
 
Wie könnte die Wache Süd weiter genutzt werden?
Schmitz: Sie ist nicht einmal 30 Jahre alt. Vorstellbar wäre ein Katastrophenschutzzentrum. Ich weiß, dass auch Hilfsorganisationen Räume und Garagen suchen. Man könnte auch zum Ergebnis kommen, dass die Freiwillige Feuerwehr an der Breslauer Straße bleibt. Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.
 
Wollten Sie schon immer Feuerwehrmann werden?
Schmitz: Nein, ich wollte eigentlich Polizist werden. Mit der Sehstärke war das grenzwertig und damit ärztlich untauglich. Ich habe dann meine Ausbildung als Industriekaufmann bei AEG Kabel in Mönchengladbach gemacht. Im Ehrenamt habe ich bei der Johanniter Unfallhilfe die Ausbildung zum Rettungssanitäter gemacht. Mein bester Freund kam auf die Idee, sich bei der Feuerwehr zu bewerben. Ihm zum Gefallen haben wir uns gemeinsam beworben. Ihn haben sie nicht genommen, aber mich.
 
Haben Sie es bereut?
Schmitz: Es ist ein Beruf, bei dem man sofort eine Rückmeldung bekommt, dass das, was man tut, sinnvoll ist. Seit Jahrzehnten zählt die Feuerwehr als vertrauenswürdigste Berufsgruppe. Wir helfen jedem in der Not, ohne Ansehen der Person. In vielen Fällen geht es gut. Und ganz selten bekommt man sogar Dankesbriefe, was wir aber nicht erwarten. Mir hat mal eine Frau geschrieben, die bei einem Unfall in einem Auto eingeklemmt war. Es sah wirklich nicht gut für sie aus. Aber sie hat sich ins Leben zurück gekämpft.
 
Was waren für Sie Erlebnisse, die sie nicht vergessen haben, nicht vergessen können?
Schmitz: In meiner Heimatstadt ist eine Zellstofffabrik in die Luft geflogen. Es gab 20 schwerst verbrannte Menschen, einen Verschütteten, den wir erst am nächsten Tag tot gefunden haben. Von den 20 sind acht verstorben. Es war der 2. September 1990, um 11.30 Uhr. Vor mir standen Menschen, die bis auf die Unterhose verbrannt waren und bei 30 Grad im Schatten zitterten wie Espenlaub. Unvergessen ist für mich auch der Drehleiterunfall am Südring am Karfreitag 2009 mit vier Toten. Da musste man einfach funktionieren.
 
Wie erklären Sie sich, dass Ihre Kameraden und Sie so einfach funktioniert haben?
Schmitz: Darüber haben wir auch nach dem Einsatz gesprochen. Es liegt daran, dass nach uns keiner mehr kommt. Wir sind die Letzten. Es ist schlimm, wenn man an seinen eigenen Kollegen vorbei gehen muss, die eingeklemmt sind. Wir haben das anschließend mit Traumapsychologen aufgearbeitet.
 
Feuer, Sturm, Wasser – die Herausforderungen haben zugenommen.
Schmitz: Ja, und es gab die Bombenentschärfung. Wir haben damals 1400 Einsatzkräfte koordiniert. Das ist immer noch überragend und ist gut gelaufen. Die Erfahrungen aus diesem Einsatz haben uns auch bei der Bewältigung der Pandemie geholfen.
 
Sie sind bis in den Herbst noch Leiter der Feuerwehr. Was bedeutet das für Sie zum Jahreswechsel?
Schmitz: Ich bin nicht mehr an vorderster Front und komme nur noch bei großen Sachen dazu. Ich trage aber noch die Verantwortung, bis mein Nachfolger eingearbeitet ist. Im September könnten alle notwendigen Beschlüsse gefasst sein. Dann stelle ich mein Amt zur Verfügung.
 
Westfälisches Volksblatt